Älterwerden: Willkommen im Club der ZynikerEine Kolumne von Sibylle Berg
Zwischen 20 und 30 regiert im Kopf der Idealismus - danach geht es bergab mit der Menschenliebe. Oder haben uns einfach nur Terroristen und Angstkranke in die Hoffnungslosigkeit getrieben?
Kolumne
Willkommen, kleines Arschloch, im Club der Zyniker, raune ich mir morgens leise zu. Seit einiger Zeit beobachte ich an mir das, was mir jahrelang von Sprachbedeutungsunkundigen unterstellt wurde. Ich habe aufgegeben. Oder bin erwachsen geworden. Oder traurig an Regentagen. Es lebt sich ganz gut, in der Hoffnungslosigkeit. Alles so schön ruhig jetzt.
Als junger Mensch bestand die Welt nur aus mir, und die Motivationen Fremder waren mir unbegreiflich. Mit der Arroganz jener, die die Sterblichkeit noch nicht für sich begriffen haben, wusste ich, dass ich alles besser machen würde als die da draußen, die mit den herabgezogenen Mundwinkeln, den mahlenden Wangenknochen. Irgendwann, zwischen 20 und 30, öffnet sich der Tunnelblick, im guten Fall.
Es soll Menschen geben, die nie verstehen, dass die Welt sich nicht für sie interessiert. Soso, du bist gar nicht allein, es gibt viele wie dich, und sie haben alle Gefühle. Denkt sich der fast noch junge Mensch und betrachtet ratlos die anderen. In Bahnen und Autos - und wie sich viele gleichen, wie viele langweilig aussehen, und jeder hat die Idee, dass die Welt ohne ihn nicht dieselbe wäre. Nach der Phase des Erkennens, dass ich ein Teil von Milliarden war, folgte die Phase der großen Liebe. Menschenliebe.
Die Weltrettung scheint mir heute naiv
Wenn alle mir gleichen, warum sollte ich sie hassen? Ich wollte sie retten, mit der Kraft meines idealistischen Größenwahns. Vor Einsamkeit, Trauer und Angst. Wollte ihnen zeigen, dass es einfacher ist, einander zu mögen, als sich zu hassen. Wollte eine Welt voller sich respektierender freundlicher Menschen, die sich grüßen, sich über die Straße helfen und ansonsten nicht mit ihren privaten Vorlieben belästigen. Es wäre doch einfach, keinem auf den Wecker zu fallen, mit seinen Vorurteilen, seinem Aberglauben, seinem Halbwissen.
Außerhalb der Wohnung freundlich andere loben, und in den Wänden beten, swingen, Ballerspiele machen und miese Musik hören. Tut ja keinem weh. Dachte ich. Lange. Glaubte. Dass vielleicht alles gut würde. Der Verstand siegen würde. Sich am Ende durchsetzt. Dass allen klar würde, dass sie aufeinander angewiesen sind, dass ihr Leben kurz ist. Dass es albern ist, einander zu hassen und zu töten, weil man nur abwarten muss. Das Leben hört doch auch für die größten Idioten von allein auf, in Kürze. Die Weltrettung. Erscheint mir heute naiv. Und rührend.
Die Menschen wollen sich nicht retten lassen, weder von mir noch von anderen Deppen. Dieser anmaßende Gedanke, es besser zu wissen, ist mir sehr peinlich. Heute. Wo ich keinen mehr retten will, nicht einmal mehr mich. Wo ich aufgehört habe, an das alberne Gute zu glauben. Mich langsam in den Zynismus verabschiede, oder in die Apathie.
Vielleicht hat mir der IS den Rest gegeben, die Paris-Attentate eins und zwei, die Fundamentalisten, die Pegidisten, die Schweiz, meine Heimat, die sich ohne Not in die Diktatur der Neokonservativen begibt, der Rutsch der Zivilisation in die Verblödung. Vielleicht waren es die Shitstorms der bigotten Berufsempörten in den sozialen Medien, vielleicht die Tatsache, dass das Internet oft das Dümmste im Menschen zum Vorschein bringt. Oder es war: alles zusammen.
Meine Naivität ist verschwunden. Schade. Es hat sich gut gelebt mit ihr. Besser als jetzt, angekommen in einer Art tristem Pragmatismus. Das sind wir. Das ist unsere Spezies. Mehrheitlich ein dummer, gieriger, brutaler Haufen. Und es steht zu vermuten, dass ich nicht besser bin.
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