Gedenk-Gottesdienst: Gauck spricht klar von Völkermord an den Armeniern
Von Severin Weiland
In der Debatte um das Schicksal der Armenier wagt sich Joachim Gauck weiter vor als Regierung
und Parlament. Der Bundespräsident sprach bei einer Gedenkveranstaltung von Völkermord - und
erinnerte an die deutsche Mitschuld.
Der Termin war mit Spannung erwartet worden. Würde der Bundespräsident während des
Gottesdienstes im Berliner Dom deutliche Worte zum Massaker an den Armeniern vor 100 Jahren
finden? Würde er die Taten des damaligen Osmanischen Reiches gar als Völkermord bezeichnen?
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"Das Schicksal der Armenier steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der
ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von der das 20. Jahrhundert auf
so schreckliche Weise gezeichnet ist", sagte Gauck.
An zwei weiteren Stellen nahm er den Gedanken auf und variierte ihn auf seine eigene Art: Im
Osmanischen Reich habe sich "eine genozidale Dynamik" entwickelt, der das armenische Volk zum
Opfer gefallen sei.
In einer dritten Passage ging er auch auf die Mitschuld des Deutsches Reiches ein, im Ersten
Weltkrieg Verbündeter des Osmanischen Reiches. Auch die Deutschen müssten sich
insgesamt "noch der Aufarbeitung stellen, wenn es nämlich um eine Mitverantwortung, unter
Umständen sogar Mitschuld, am Völkermord an den Armeniern geht".
Hitler solle nicht Recht behalten.
Es seien deutsche Militärs gewesen, die an der Planung und zum Teil auch an der Durchführung der
Deportationen beteiligt gewesen seien. "Hinweise von deutschen Beobachtern und Diplomaten, die
im Vorgehen gegen die Armenier den Vernichtungswillen genau erkannten, wurden übergangen und
ignoriert. Denn das Deutsche Reich wollte die Beziehungen zum osmanischen Verbündeten nicht
gefährden", so Gauck.
Der Völkermord an den Armeniern diente auch als Vorbild für die Vernichtungspläne der Nazis.
Der Bundespräsident erinnerte an den Einsatzbefehl vom 22. August 1939, den Adolf Hitler seinen
Oberbefehlshabern vor dem Überfall auf Polen erklärte. Er habe dabei angewiesen, "mitleidlos
Mann, Weib und Kind polnischer Abstammung und Sprache in den Tod zu schicken" und in
Erwartung eines kollektiven Desinteresses mit der rhetorisch gemeinten Frage geschlossen:
"Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier?"
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http://www.spiegel.de/politik/deutschland/armenier-joachim-gauck-spricht-klar-von-voelkermord-a-1030261.html
Worum geht es?
Millionen Armenier sind während des Ersten Weltkriegs aus dem Osmanischen Reich geflohen oder
vertrieben worden. Ende des 19. Jahrhunderts lebten in dem Vorläuferstaat der heutigen Türkei
etwa 2,5 Millionen Armenier. Die osmanische Regierung sah in der christlichen Minderheit innere
Feinde und zweifelte im Weltkrieg an deren Loyalität im Kampf gegen das christliche Russland.
Daher begann 1915 die systematische Vertreibung und Vernichtung der Armenier. Nach
unterschiedlichen Schätzungen kamen bei den Deportationen 1915/16 zwischen 200.000 und 1,5
Millionen Menschen ums Leben. Viele Armenier wurden gezwungen, zum Islam überzutreten.