Tote Flüchtlinge im Mittelmeer: Menschen schützen - nicht nur Grenzen
Ein Kommentar von Maximilian Popp
Die Beamten in der Zentrale der europäischen GrenzschutzagenturFrontex in Warschau zählen
jeden irregulären Grenzübertritt, jedes Flüchtlingsboot. Seit Dezember 2013 setzt die Behörde für
Hunderte Millionen Euro Drohnen und Satelliten zur Überwachung der Grenzen ein.
Die EU registriert, was an ihren Rändern vor sich geht. Sie sieht, anders als oft behauptet wird,
nicht weg, wenn Flüchtlinge sterben. Sie sieht sehr genau hin. Hier wird nicht nachlässig gehandelt.
Hier wird vorsätzlich getötet.
Seit Jahren sterben Menschen auf der Flucht nach Europa. Sie ertrinken im Mittelmeer, verbluten
an den Grenzzäunen von Ceuta und Melilla, erfrieren in den Bergen zwischen Ungarnund der
Ukraine. Doch die Dimension dieser Katastrophe scheint der europäischen Öffentlichkeit noch
immer nicht vollständig bewusst zu sein. Wir sind Komplizen eines der größten Verbrechen der
europäischen Nachkriegsgeschichte.
Barbarei im Namen Europas
Möglicherweise werden sich in 20 Jahren Gerichte oder Historiker mit dieser dunklen Zeit
beschäftigen. Und nicht nur die Politiker in Brüssel, Berlin und Paris, sondern auch wir Bürger
werden uns die Frage gefallen lassen müssen, was wir damals eigentlich unternommen haben
gegen die Barbarei in unser aller Namen.
Das Massensterben der Flüchtlinge an Europas Außengrenzen ist kein Unglück, sondern das
direkte Ergebnis europäischer Politik. Das Grundgesetz und die europäische Grundrechtscharta
versprechen Menschen, die vor Krieg oder politischer Verfolgung fliehen, Schutz. Doch die EU-
Mitgliedstaaten torpedieren dieses Recht seit Jahren. Wer in Europa Asyl beantragen will, muss
zunächst europäisches Territorium erreichen. Genau das aber ist durch die europäische
Abschottungspolitik beinahe unmöglich geworden. Die EU hat an ihren Rändern meterhohe Zäune
errichtet, sie hat Soldaten an ihre Grenzen beordert und Kriegsschiffe entsandt, um Flüchtlinge von
Europa fernzuhalten.
Für Schutzsuchende, egal ob aus Syrien oder Eritrea, existieren keine legalen, sicheren Wege nach
Europa. Flüchtlinge sind gezwungen, als "illegale" Migranten in die EU einzureisen, auf gefährlichen,
mörderischen Routen. Etwa über das Mittelmeer.
An den europäischen Außengrenzen ist ein darwinistisches System entstanden: Nur wer genügend
Geld hat, um Schlepper zu bezahlen, wer zäh genug ist, immer wieder gegen die Zäune aus Stahl
und Stacheldraht anzulaufen, hat überhaupt eine Chance, in Europa Asyl zu beantragen. Arme,
Kranke, Alte, Familien, Kinder bleiben meist ihrem Schicksal überlassen. Das europäische
Asylsystem ist die Pervertierung des Asylrechts.
undsoweiter ….
http://www.spiegel.de/politik/ausland/kommentar-fluechtlingssterben-im-mittelmeer-a-1029537.html